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Nachbargrundstück

01.02.2024

Grosser Baum des Nachbarn ragt auf unser Grundstück: Muss er für allfällige Schäden aufkommen?

Im Nachbargarten steht an der Grenze eine sehr hohe Tanne. Einige Äste ragen weit in unser Grundstück. Wir befürchten, dass sie bei einem Sturm auf unser Haus stürzen könnte. Können wir verlangen, dass der Nachbar die auf unser Grundstück ragenden Äste entfernt? Müsste der Nachbar für einen Schaden an Haus und Garten aufkommen?

Die von der Tanne auf dem Nachbargrundstück überragenden Äste sind grundsätzlich zu dulden, sofern die Vorschriften zum Grenzabstand eingehalten werden. Die Kantone und teilweise auch die Gemeinden schreiben für Anpflanzungen je nach Art des Grundstücks und der Pflanze Abstände zum nachbarlichen Grundstück vor.

Aber auch dann, wenn der Grenzabstand eingehalten wird, können überragende Äste zu Schäden am Nachbargrundstück oder zu Immissionen führen. Hier kommt unter Umständen das sogenannte Kapprecht ins Spiel. Dieses gewährt dem betroffenen Nachbarn ein Selbsthilferecht, indem er die überragenden Äste kappen kann. Die Ausübung des Kapprechts setzt jedoch voraus, dass die überragenden Äste das Eigentum des Nachbarn schädigen. Die Schädigung muss erheblich sein, d.h. das nachbarliche Grundeigentum übermässig beeinträchtigen.

Objektive Kriterien massgebend

Dies ist aufgrund der konkreten Umstände und nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Das subjektive Empfinden des betroffenen Nachbarn spielt dabei keine Rolle. In der Regel reichen beispielsweise Nadel- oder Laubfall nicht aus, um das Kapprecht zu begründen. Bevor der betroffene Nachbar zur Säge greift, hat er seinen Nachbarn aufzufordern, die übermässige Einwirkung auf das Nachbargrundstück innert angemessener Frist zu beseitigen. Erst dann, wenn der Nachbar seiner Pflicht nicht nachkommt und die überragenden Äste nicht zurückschneidet, steht dem betroffenen Nachbarn das Kapprecht zu und er darf die Äste bis auf die Grundstücksgrenze zurückschneiden. In Fällen, in denen lediglich die Gefahr einer Schädigung besteht, weil überragende Äste beispielsweise bei einem Sturm abbrechen und auf das Haus stürzen könnten, ansonsten aber keine schädigenden Immissionen bestehen oder die Nutzung des Grundstücks gar verhindert wird, sind die Voraussetzungen des Kapprechts nicht erfüllt. Ist der Nachbar nicht bereit, die überragenden Äste seines Baumes zurückzuschneiden, so kann der betroffene Nachbar beim zuständigen Gericht auf Schutz gegen drohenden Schaden klagen.

Verursachen herabfallende Äste der Tanne einen Schaden an Ihrem Haus oder Ihrem Garten und ist der Schaden ausschliesslich auf höhere Gewalt (z.B. einen Sturm) zurückzuführen, so haftet der Eigentümer des Nachbargrundstücks und des Baumes grundsätzlich nicht für diesen durch Naturereignisse verursachten Schaden. Für den Schaden am Gebäude kommt in der Regel Ihre Gebäudeversicherung auf. Hingegen werden beispielsweise Schäden an den Gartenmöbeln, der Gartenbepflanzung und der Gartenanlage im Allgemeinen nicht von der Gebäudeversicherung ersetzt. Solche Schäden werden aber üblicherweise von der Hausratsversicherung (z.B. Schäden an Gartenmöbeln) oder einer Gebäudeumgebungsversicherung (z.B. Schäden an der Gartenanlage und der Gartenbepflanzung) ersetzt.

Dr. iur. Claudio Stocker, Luzerner Zeitung vom 24.1.2024