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Abgrenzung von Lohn und Gratifikation

10.04.2019

Das in 5-er Besetzung ergangene Urteil des Bundesgerichts 4A_714/2016 vom 29. August 2017 gibt eine beinahe lehrbuchartige Übersicht über die bisherige Bonusrechtsprechung und entwickelt die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Lohn und Gratifikation weiter. Gemäss Wolfgang Portmann und Roger Rudolph hat das Bundesgericht mit diesem wegleitenden Entscheid seine Rechtsprechung, wonach der Bonus zum Lohn nebensächlich (akzessorisch) sein muss, nochmals massgeblich abgeschwächt. Es rechtfertigt sich daher, die in diesem Urteil enthaltenen Grundsätze überblickartig darzustellen.

I. Einleitung
Das in 5-er Besetzung ergangene Urteil des Bundesgerichts 4A_714/2016 vom 29. August 2017 gibt eine beinahe lehrbuchartige Übersicht über die bisherige Bonusrechtsprechung und entwickelt die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Lohn und Gratifikation weiter. Gemäss Wolfgang Portmann und Roger Rudolph hat das Bundesgericht mit diesem wegleitenden Entscheid seine Rechtsprechung, wonach der Bonus zum Lohn nebensächlich (akzessorisch) sein muss, nochmals massgeblich abgeschwächt. Es rechtfertigt sich daher, die in diesem Urteil enthaltenen Grundsätze überblickartig darzustellen.

II. Abgrenzung von Lohn und Gratifikation
Bekanntlich wird der Bonus gesetzlich nicht besonders geregelt, weshalb im Einzelfall zu beurteilen ist, ob Lohn (Art. 322 ff. OR) oder Gratifikation (Art. 322d OR) vorliegt. Die Abgrenzung zwischen Gratifikation und Lohn fällt indes nicht immer leicht: 1. Lohn liegt vor, wenn der Bonus in Bestand und Höhe objektiv bestimmt bzw. objektiv bestimmbar ist (z.B. 13. Monatslohn). Wenn Bestand oder Höhe nicht objektiv bestimmt bzw. objektiv bestimmbar sind, liegt eine Gratifikation vor (z.B. Bonus in Abhängigkeit des persönlichen Einsatzes und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung). Mischformen sind denkbar, etwa wenn sich eine Erfolgsbeteiligung aus einer vordefinierten Umsatzprämie (= Lohn) und einer individuellen Vergütung in Abhängigkeit des persönlichen Einsatzes des Arbeitnehmers (= Gratifikation) zusammensetzt.

2. Lohn liegt weiter vor, wenn der Bonus zur einzigen oder zumindest hauptsächlichen Einkommensquelle wird, d.h. nicht mehr ein nebensächliches Element" zum festen Grundlohn darstellt (sog. Akzessorietät der Gratifikation). Wann diese Schwelle überschritten wird, hat das Bundesgericht nicht abschliessend definiert. Allerdings unterscheidet das Bundesgericht drei Konstellationen. 

a. Sehr hohe Einkommen (Lohn und Bonus überschreiten zusammen das Fünffache des Medianlohns im Privatsektor, d.h. CHF 354 000 [Stand: 2009]): Es herrscht Vertragsfreiheit. Eine Gratifikation kann in beliebiger Höher festgesetzt werden; das Kriterium der Akzessorietät gilt hier nicht.

b. Mittlere und hohe Einkommen (Lohn und Bonus liegen zusammen zwischen dem Medianlohn im Privatsektor und dem Fünffachen des Medianlohns, d.h. zwischen CHF 70 800 und CHF 354 000 [Stand: 2009]): Ein sehr hoher Bonus, der dem festen Einkommen entspricht oder dieses übersteigt, stellt einen Lohnbestandteil dar. 

Wo die Grenze genau liegt, war jedenfalls bis zum hier besprochenen Urteil nicht restlos geklärt. Als Faustregel galt: Je höher das Gesamteinkommen ist, desto höher darf die Gratifikation im Verhältnis zum Grundlohn sein. Vorliegend hat das Bundesgericht bei einer Gesamtbetrachtung den Bonus als akzessorisch betrachtet, auch wenn er in gewissen Jahren 50-60% des Grundlohns überschritt. 

Portmann/Rudolph interpretieren das Urteil des Bundesgerichts dahingehend, dass die Nebensächlichkeit ("Akzessorietät") des Bonus zum Fixlohn pauschal erst dann verneint wird, wenn der Bonus mindestens die Höhe des Grundlohns erreicht. Da derart hohe Bonuszahlungen in diesem Lohnsegment selten seien, könnten sich Arbeitnehmer mit solchen Löhnen kaum mehr je erfolgreich auf die (fehlende) Akzessorietät berufen. In der Tat enthält das Urteil des Bundesgerichts 4A_714/2016 vom 29. August 2017 eine solche "Präzisierung", wobei aber m.E. letztlich offen bleibt, ob damit das letzte Wort gesprochen ist. Jedenfalls behält sich das Bundesgericht an anderer Stelle eine Würdigung des Einzelfalls ausdrücklich vor. Künftige Urteile werden hier Klarheit schaffen müssen. 

c. Tiefe Einkommen (Lohn und Bonus liegen zusammen unter CHF 70 800 [Stand: 2009]): Substanzielle Bonuszahlungen erscheinen hier per se heikel und dürften wohl auch in der Praxis selten vorkommen. Portmann/Rudolph vermuten gestützt auf die bisherige Rechtsprechung, dass die Schwelle wohl frühestens bei 25-30% des Grundlohns anzusetzen ist, d.h. bei mindestens drei Monatslöhnen. Auch hier bleibt abzuwarten, ob die Gerichtspraxis dies noch präzisieren wird. 

III. Weiterführende Hinweise 

1. Ab und zu geht vergessen, dass auch ein Bonus, der einzig in der Höhe (aber nicht im Bestand) vom Ermessen des Arbeitgebers abhängt,  als (unechte) Gratifikation zu qualifizieren ist. Auch in diesen Fällen gilt namentlich Art. 322d Abs. 2 OR. 

2. Eine echte Gratifikation (= Bestand und Höhe im Ermessen des Arbeitgebers), die während mind. drei aufeinanderfolgenden Jahren vorbehaltlos ausbezahlt wird, mutiert gemäss Rechtsprechung zur unechten Gratifikation (sofern Höhe nach Ermessen des Arbeitgebers variiert) oder sogar zu Lohn (sofern Höhe fix oder nach objektiven Kriterien bestimmbar). Bei Auszahlungen mit Freiwilligkeitsvorbehalt ist eine solche "Mutation" nur dann möglich, wenn der Bonus über Jahrzehnte ausbezahlt wird, obwohl sachliche Gründe vorgelegen hätten, die Zahlung zu stoppen (z.B. schlechter Geschäftsgang oder schlechte Arbeitsleistung). Allgemein mutiert der Bonus immer dann, wenn der "Freiwilligkeitsvorbehalt" aufgrund der konkreten Umstände eine leere Floskel ist.

Dr. iur. Philipp Egli, iusNet AR-SVR 30.01.2018