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Berufung auf Gewohnheitsrecht bei Zugang über Nachbarsgrundstück?

11.01.2024

Seit vielen Jahren benutzen wir eine Abkürzung zu unserem Haus, die über eine Wiese der Nachbarn führt. Diese hatten uns mündlich die Erlaubnis dazu gegeben. Nun haben sie ihr Grundstück verkauft. Die neuen Nachbarn wollen uns das Wegrecht verbieten, da es nicht im Grundbuch eingetragen sei. Besteht nach so vielen Jahren nicht ein Gewohnheitsrecht?

Interessant ist vorerst die Frage, wie die Erlaubnis der alten Nachbarn juristisch einzuordnen ist. Mit einer bloss mündlichen Erlaubnis ist noch nicht von einem Vertragsverhältnis, sondern von einer sogenannten "prekaristischen Gestattung" auszugehen, wonach Ihnen das Überqueren der Wiese auf Zusehen hin erlaubt wurde, mit Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.

Obligatorisches oder beschränktes dingliches Recht

Sollten Sie sich mit dem alten Nachbarn noch mündlich über weitere Punkte geeinigt haben (z.B. Dauer, Entschädigung, etc.) ist bereits von einem Vertragsverhältnis bzw. einem sogenannten "obligatorischen Recht" auszugehen. Entscheidend ist, dass obligatorische Rechte nur zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien gelten, also vorliegend zwischen Ihnen und den alten Nachbarn.

Anders wäre es gewesen, wenn Sie mit Ihren alten Nachbarn einen öffentlich beurkundeten Dienstbarkeitsvertrag abgeschlossen hätten. Mit diesem hätte das Wegrecht zu Gunsten von Ihrem Grundstück und zu Lasten des Grundstücks der Nachbarn begründet und im Grundbuch eingetragen werden können. Damit hätte dieses nicht nur für die ursprünglichen Vertragspartner gegolten, sondern auch für sämtliche Rechtsnachfolger, sprich wäre jeder neue Eigentümer des Nachbargrundstücks verpflichtet gewesen, sowohl Sie als auch jeden neuen Eigentümer Ihres Grundstücks die Wiese überqueren zu lassen. Dabei spricht man von einem beschränkten dinglichen Recht, welches dem Berechtigten erlaubt, eine fremde Sache in bestimmter Weise wie ein Eigentümer zu gebrauchen.

Gewohnheisrecht nur bei Gesetzeslücke

Das schweizerische Zivilgesetzbuch sieht bereits im ersten Artikel vor, dass ein Gericht nach Gewohnheitsrecht entscheiden soll, wenn dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden kann. Mit anderen Worten braucht es zur Anwendung von Gewohnheitsrecht eine Gesetzeslücke. Da aber gesetzlich klar geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen ein Wegrecht entstehen kann, liegt diesbezüglich keine Gesetzeslücke vor und es besteht auch kein Raum für die Anwendung von Gewohnheitsrecht.

Der Begriff Gewohnheitsrecht wird von Laien im juristischen Kontext leider häufig falsch verstanden. Dass Ihr alter Nachbar das Überqueren der Wiese jahrelang toleriert hat, hat nichts mit Gewohnheitsrecht zu tun. Damit könnte aber argumentiert werden, dass auch von einer prekaristischen Gestattung ausgegangen werden könnte, wenn ihr alter Nachbar dem Überqueren der Wiese nie ausdrücklich zugestimmt, sondern dies einfach toleriert hätte. Genauso wie Ihre neuen Nachbarn aber nicht an obligatorische Verpflichtungen der alten Nachbarn gebunden sind, sind sie das auch nicht für bisherige stillschweigende prekaristische Gestattungen.

 

MLaw Mathias Buchmann, Luzerner Zeitung, Ausgabe vom 9.1.2024